Ich war 1955, nachdem ich meine Prüfungen zum dienstführenden Beamten abgelegt und bestanden hatte, konnte aber noch nicht zum Polizei Revierinspektor befördert werden, da mir noch einige Monate zur Dienstalterserreichung dafür fehlten, als Wachkommandant, also doch bereits dienstführend, am Friedrichsplatz tätig. Dieses unscheinbare im Hintergrund der Mariahilfer Straße gelegene Polzeiwachzimmer, heute Polizei-Inspektion, hatte es aber in sich. Nicht nur, dass das Gebiet das zu überwachen war, vom Inneren Gürtel, inklusive Kreuzungsregelung Mariahilfer Straße – Gürtel, hinunter bis zur, ich glaube Gumpendorfer Straße, dann bis zur Rudolfsheimer Remise und Technisches Museum reichte. So wurde auch die Mariahilfer Straße auch noch umgebaut, in den Zustand in dem sie heute noch sieht, war alles sehr großräumig und im Verkehrsaufkommen, das stärkste Wachzimmer im Bezirk.
Verkehrsaufkommen, das heißt natürlich auch vermehrte Verkehrsunfälle, zu dem der Umbau der Mariahilfer Straße auch seinen Teil dazu beitrug. Ich will von den anderen Aufgaben in diesem Wachzimmerrayon nicht sprechen, es wurde den Rahmen sprengen, aber die Wiener wissen, welche Damen sich am Gürtel aufhielten und in den Nebengassen dieser Straße in den vielen Beiseln, die es sogar heute noch gibt, gab es auch immer wieder Streit und Messerstechereien. Damals die Platte von der Reinprechtsdorfer Straße gegen die der Schwegler Straße, heute Türken gegen Kurden oder Serben gegen Bosnier u.s.w., u.s.w.
Aber bleiben wir bei den dort anfallenden Verkehrsunfällen. In einem Zeitraum von 24 Stunden passierten, und ich habe sie auch bearbeitet, so zwischen acht bis fünfzehn Unfälle, teils mit Sachschaden, aber auch mit Verletzten.
Wie ging das eigentlich vor sich? Der Unfall passierte. Die Polizei wurde verständigt, oder war dort, oder in der Nähe. Der Rayonsposten nahm die Daten aller beteiligten Personen und Fahrzeuge, sowie Zeugen und alle Aussagen auf, vermaß die Unfallstelle, den es musste darüber auch noch eine, ev. auch zwei Skizzen angefertigt werden. Er brachte die Aufzeichnungen in das Wachzimmer und sollte darüber einen richtigen Akt erstellen, der sogar von einem Gericht halten solle. Und die dazu als Zeugen geladenen Polizeibeamten sollten sich auch noch instruieren können, wenn nach 2 oder 3 Jahren eine Verhandlung angesetzt war und er in der Zwischenzeit so ca. 80 bis 150 Verkehrsunfälle zu bearbeiten gehabt hatte.
Ein großer Teil der damaligen eingeteilten Beamten (Rayonsposten) war noch über geblieben aus der kurzen Nachkriegszeit. Den Zustand dieser Zeit bringt ein Witz auf den Punkt. „Zwei Männer sitzen im Ministerium, sagt der eine zum anderen „Hawara geh hau ma den bleden Akt uma!" Zwei Männer arbeiten auf der Strasse beim Schuttaufräumen, sagte der eine zum anderen: „Herr Hofrat darf ich ihnen kurz den Hammer zum Abklopfen des Ziegelschuttes überlassen!“ Den Hintergrund dieses Umstandes will ich hier nicht aufführen. Ich will nur sagen, dass einige? , die meisten? , nicht imstande waren, diesen Verkehrsunfallakt zu vollenden, damit er vor Gericht bestehen konnte. Was blieb mir über. Ich nahm die Aufzeichnungen, setzte den Rayonsposten auf einen Sessel neben mich, um Geschriebenes zu entziffern und haute in die Tasten der Schreibmaschine. Zehnfingersystem. Vor einigen Monaten erlernt.
Der Akt bestand aus der Meldung des Beamten was er gesehen und gehört hatte. Einer Zustand- und Beschaffenheitsliste, über den der Fahrzeuge, des Wetters, der Straße und vieles, vieles mehr. Die schon erwähnte Skizze und eventuelle Gegenstände, die dazugehörten und nicht am Unfallsort liegen bleiben sollten, beschriftet verpackt. Manche der erwähnten geschriebenen Meldungen auch drei- bis fünffacher Ausfertigung, je nachdem, es sich um Alliierte ( der Ausspruch: „Österreich ist frei“ war noch nicht gefallen), Ausländer ect. , ect. handelte.
Eines späten abends gegen 22,00 oder 23,00 Uhr kam einer der vorhin geschilderten "Aktenumihauer", als Dank des Vaterlandes war er mir jetzt Rayonsposten zugeteilt, außerdem kommunistischer Agitator, den ich öfters bei seinen Reden im Wachzimmer erklärte, wie ich Russlands industriellen Aufschwung selbst erlebte, in das Wachzimmer, hielt mir einen Zettel mit drei Namen hin und versucht mir einen Verkehrsunfall zu erklären und warum er nicht mehr Erhebungsmaterial in den Händen hätte. Also, kurz gesagt. Er sei in der Nähe der Reindorfkurve der Mariahilfer Straße gewesen, als ein quietschendes Bremsgeräusch, dann ein Rattern über den Schotter und einen Krach gehört hätte. Als er hinkam, war dort nur ein Auto mit ausländischen (?) Kennzeichen, dass gegen die dort befindlichen Steinstufen, Richtung stadtauswärts gefahren sei. Drei Personen, die teils deutsch, teils englisch sprachen besahen den Schaden am Wagen. Eine kleine Einbeulung am rechten Radkasten.
Als er die Personalien aufnehmen wollte, erklärten sie ihm, dass ihm das nichts angehe, sie seien Ausländer, obwohl sie deutsch sprachen (?). Der Fahrer, obwohl auch ein Wienerisch herauszuhören war, sagte er sei Mitglied des Kontrollrates des Alliierten Rates und dadurch wären auch seine Fahrgäste exterritorial. Es wäre kein anderes Fahrzeug beteiligt gewesen, den Schaden mussten sie selbst tragen und er nannte seinen Namen und die der beiden Mitfahrer. Sie schoben das Auto etwas zurück und fuhren weg. Und der Rayonsposten drückte mir den Zettel in die Hand auf die er die Namen aufgeschrieben hatte. Da stand: Drabi, Giwurka, Eckart.
Ich glaubte natürlich er sei einem Hochstapler oder Autodieb und sonstigen Schmuggler aufgesessen. Ich konnte mit den Namen nichts anfangen. Aber die Zusammenerwähnung der beiden letzten halfen mir auf den Damm.
Giwurka-Eckert, Kiwurka-Eckhart, Kipurka-Eckert. Kipurka, Kipurga, Kiepura. Da fiel mir ein, in der Zeitung hab ich’s gelesen, dass Jan Kiepura, ein Filmtenor, den ich als Bub verehrt hatte („Ob blond, ob braun, ich liebe alle Frau´ n....!“) mit seiner Frau Martha Eggerth in Wien eingetroffen und Begleitung seines ehemaligen Sekretärs aus Amerika Marcel Prawy ( damals auch mir noch völlig unbekannt) Verhandlungen in Theatern und über einen Film zu führen. Also stand Drabi für Prawy, Giwurka für Kiepura und Eckert für Eggerth.
Ich konnte Dr. Prawy diese Geschichte nicht erzählen, denn ich traf ihn nur einmal und zwar in Verona kurz vor dem Beginn einer Vorstellung, die ich mit meiner Frau Christa, Joey und Karin besuchte. So konnte er nie erfahren, dass man seinen Namen in die Nähe einer noch zu konstruierenden Ostdeutschen Automarke setzte.