HERWIG LENAU - eine Bilanz

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Fasst ein Kannibale 47


Das ist keine “Raubersgeschichte“. Sondern dies hat sich im Sommer 1947 abgespielt.

Im Lager Klincy wurde ich eines Tages über Auftrag der Lagerleitung zum Leiter der antifaschistischen Jugend des Lagers ernannt und zu einem Meeting nach Brjansk beordert. Natürlich war ich längst ein Antifaschist, aber gleich Vorsitzender des Lagers. Aber was soll’s, es war sicher eine Abwechslung und wenn ich unser antifaschistisches Komitee betrachtete, so war gewiss keine zusätzliche Arbeit damit verbunden. Denn die machten auch nichts besonderes. Sie organisierten nur immer mit mir die Bunten Abende, von denen ich schon berichtet habe. Die antifaschistische Jugendgruppe war altersmäßig sehr hochsteckt ( bis 25 oder 26 Jahren, ich weiß es nicht mehr so genau), sonst hätten sie ja keine Mitglieder gehabt.

Also fuhr ich an dem betreffenden Tag unter der Aufsicht der russischen Militär Lagerzahlmeisters, einem Starschileutenant (Oberleutnant), mit der Bahn nach Brjansk. Ca. 70 Km von Klincy entfernt. Im Zug wer es sehr interessant, denn es spielte sich genau so ab, wie ich es aus Filmen kannte. Der Zug war bumsvoll. Sogar im Gang standen viele Menschen. Wir hatten aber Platzkarten und saßen in einem Abteil. Ich habe keinen russischen Personenzug gesehen, der keine Abteile gehabt hätte. Nur der Transportwaggon: 6 Pferde oder 22 Menschen. Einige kochten sich auf mitgenommenen Feuerstellen Tee, boten ihn auch den anderen Reisenden an. Andere schliefen oben auf den Gepäcksträgern.

Nach Ankunft auf dem Bahnhof, auf dem ich im Jahre 1945 die Armaturen mit stumpfen Meißeln aus dem Beton geschlagen hatte, fuhren wir mit einem Autobus in das am Stadtrand, mir aber unbekannt gewesenes, Lager. Dort war alles beflaggt und voller Spruchbänder, wie „Wir grüßen den großen Stalin und die befreundete Sowjetmacht, die für den Frieden in der Welt kämpfen“. Und „Es lebe die Rote Armee und die antifaschistische Liga“. Oder „Die antifaschistische Jugend der Welt ist der Garant für den Frieden unter den Nationen“. Die oder ähnliche Sprüche waren mir bekannt, man konnte sie überall lesen. Auf Stoff, auf Papier, auf Hausmauern, zwischen Telegraphensäulen, überall.

Wir saßen dann in einem großen Saal (ebenfalls mit vielen Sprüchen), so ca. 200 jüngere Kriegsgefangene mit ihren persönlichen Bewachern. Ich konnte mich über meinen nicht beklagen. Er sprach nicht viel. Gab sich Mühe, wenn er etwas sagte, dass ich es verstehe und er auch mich verstand.

Die Veranstaltung lief wie gewöhnlich ab, Der Vorsitzende gab Sprechblasen von sich, übergab einem Andren das Wort, der wie vorhergehabt und fordert dann zur Diskussion auf. Das ganze Palaver mündete letztendlich, ich sage Blödsinnigerweise, in einer Debatte über die von Sowjetsoldaten abgenommenen Uhren „Ura jest?“ (Hast Du eine Uhr?). Das wurde aber sicher von den Veranstaltern so gelenkt. Denn in einer Nebenbaracke waren auf zig Tischen Tausende Armbanduhren hingelegt. Und es wurde uns freigestellt, falls wir unsere Uhr noch in Erinnerung hatten, könnten wir sie mit ins Lager nehmen. Ich bin das Gewurl gar nicht hineingegangen. Denn diesen Schmäh hatte ich durchschaut. Unter Tausenden kannst du deine Uhr sicher nicht finden, denn da wirst schwindelig vom Hinschauen und Suchen.

Ein noch sehr gutes und sehr reichliches Mittagessen, und dann wurden wir entlassen. Mein Bewacher und ich gingen zum Bahnhof, da der Zug erst später fuhr und kamen so am Markt vorbei. Da meinte der Oberleutnant, ob ich Bier kenne und auch trinke. Nona! Ich erzählte ihm, dass ich seit dem 5. Lebensjahr zum Essen Bier getrunken habe, falls ich welche hatte. So bestellten wir an einem Bierstand „dwa pollovina Bivo“ (Zwei halbe Liter Bier). In Kochgeschirr eingeschenkt, aber es schmeckte wunderbar und war ausgezeichnet. Es war auch mit Eisblöcken gekühlt.

Darauf meinte meine Begleitperson, er habe gehört, dass in der Nähe ein Stand sei, der „Chorosche Frikadelka“ (Gute Fleischlaberln oder Pflanzln oder Hamburger oder Fleischklöße) verkauft würden, und sie seien auch sehr preiswert. Aber sagte, dass ich sie nicht essen könne, denn das gute und viele Essen und das Halbe (Liter) Bier dazu. Ich bringe die „chorosche Frikadelka“ sicher nicht mehr hinunter. Obwohl ich sicher zu einem anderen Zeitpunkt freudigst zugestimmt und die zwei oder dreifache Portion genossen hätte. Denn Qualität war abhanden gekommen und die Quantität war gefragt. Man muss sich vorstellen, dass ich die Zweieinhalbjahre, welche ich im Arbeiterparadies verbrachte, täglich mit einem Hungergefühl schlafen gehen musste. Also „ladna“ (lassen wir es). Und wir gingen weiter zum Bahnhof und fuhren ins Lager nach Klincy zurück.

Einige Tage später erfuhren wir durch die Russen in der Stadt, dass auf dem Markt in Brjansk, eine Mann und eine Frau verhaftet wurden, da sie Leute überfallen und getötet hatten und das Fleisch dann als gebratenes Faschiertes (Frikadelka) am Markt verkauften.

So hat das gute alte Bier mich davor bewahrt ein Menschenfresser zu werden. Klingt wie eine Räuberpistole. Ist es aber nicht. Es hat sich wirklich zugetragen. Im Sommer 1947 auf dem Markte zu Brjansk.


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