Christos voskres! 47


Eine der seitlich des Lagers in Nowozybkow vorbeiführende Strasse hieß Svetnaja ulica, das heißt Blumenstraße. Ich habe deshalb die ganze Zeit den Namen nicht vergessen, weil bei meiner seinerzeitigen Wohnung in Hernals auch eine Blumenstraße war, bzw. heute noch so heißt.

Aber davon will ich nicht schreiben, sondern von der großen breiteren Straße, die vor dem Lager vorbeiführte, deren Name ich nicht mehr weiß, aber wenn man rechts nach dem Lagerausgang Richtung Stadt ging, kam man als nächstes bei einer russisch orthodoxen Kirche vorbei. Die Kirche grenzte direkt an das Lager und die Seite, wo die Lagerlatrine angelegt war, trennte nur der Stacheldraht.

Von einem wunderbaren Erlebnis in der Kirche will ich berichten. Es war zu Ostern, es muss die Andacht an die Kreuzigung gewesen sein, denn um 4 nachts als ich nach einer Magazinsüberwachung in das Lager gehen wollte, sah ich Licht und hört den schwermütigen Gesang der Orthodoxie aus der Kirche. Das Datum ließe sich genau feststellen, die diese Geschichte ereignete sich 1947.

Ich war neugierig und ging in die Kirche hinein. Es war noch etwas kalt und ich hatte meinen bis an die Fußfesseln reichenden Pelzwachmantel an und auf dem Kopf eine Tschapka (Pelzmütze), die ich natürlich beim Eintritt abnahm. Sonst waren keine Kennzeichen oder irgendwelche Hinweise vorhanden, dass ich ein Kriegsgefangener war. Ich hielt mich während des Gottesdienstes, ich stand ziemlich hinten und konnte den Altar nicht sehen, an die Gebräuche der Gläubigen, wie Niederknien und Kreuzmachen. Achtung: Wenn man nach der Stirne auf die Brust berührt hatte, dann zuerst nach rechts und nicht nach links, wie bei röm.- kathol. Kreuzmachen.

Die Stimmung war fantastisch; die vielen Kerzen, der Weihrauch, die Gesänge, ein tiefer Bass und ein toller Tenor vom Altar her das laute Beten der Gläubigen; alles wirkte auf mich ein.

Plötzlich bemerkte wie mir in eine meiner sehr großen Seitentaschen meines Pelzwachmantels jemand mit den geflüsterten Worten: „Stjicha, Christos voskres!“("Ruhig, Christus ist auferstanden!") etwas hinein schob. Ich drehte mich nicht um und sagte auch ganz leise: „Spasiva ("Danke"), "Vo istinu voskres!" ("Der Herr ist in Wahrheit auferstanden!“ ) Und dann kam der oder die Nächste von rechts von links, meine Taschen füllten sich wie die vom Nikolaus im Dezember. Ich blieb bis zum Schluss des Gottesdienstes, kniete mich wie allen anderen nieder und bekreuzigte mich auf Orthodoxischen Rythus langsam, die Kirchenbesucher kamen schon in meine Höhe, da stand ich auf und verbeugte mich noch ganz groß vor allen. Ich hörte noch, dass sie leise etwas flüsterten, aber das habe ich nicht verstanden.

Ich ging dann noch die letzten 50 oder 100 Schritte zum Lager und hinauf auf die Stube. Als ich meine Taschen ausräumte, da staunte ich. Gefärbte Eier, Bonbons, Schokolade, Topfenkugeln, selbst gebackenes kleines Brot, Butterpackerln, Tortenstücke, Wurst uns Käse, und noch vieles, vieles mehr. Als dann noch die Köche unseres Lagers kamen und uns einige Kochgeschirre voll eingedickter Suppe vom Vortag brachten, das war inzwischen ein Eintopf mir viel Fleisch und Gemüse geworden, lud ich die auch noch ein und mit der ganzen Konvoistubenbesatzung feierten wir mit russischen Spezereien Ostern 1947.

Interessant und nicht erklärbar blieb, wie die Besucher, welche auch mit dem Rücken zu mir standen, erkennen konnten, dass ich ein hilfsbedürftiger Kriegsgefangener war, da ich doch überhaupt keine Kennzeichnung trug. Vielleicht war die Kirchengemeinde innerhalb sich so bekannt, dass sie Außenstehende sofort ausmachten und sich dann verständigten.

Und was lag nah, als dass ein sehr, sehr Schlanker (Dürrer) um 4 Uhr früh nur ein Plenni sein konnte. Darum habe ich auch vor dem Volk solche Hochachtung und Sympathie, wie ich Anfangs schon erwähnte.